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Form und Formlosigkeit

Wir wissen, dass das Wasser allein formlos ist, aber es gibt die Form wieder, mit der es in Kontakt kommt. Das Wasser im Fluss strömt durch den vom Gestein geformten Flussbett, formt und rundet seine Ecken und Kanten mit seiner Strömung und entfaltet sich in seiner Form, Richtung, Geschwindigkeit und Energie. Damit gestaltet das Wasser und seine Formlosigkeit auf dem natürlichen Weg die Form des Flussbettes. Im See oder im Meer entfaltet das Wasser Ihre Fülle in der Form, die es mit der Ufer begrenzt. Ob fließend oder ruhend, die Form bestimmt das Energiepotenzial des Wassers. Somit hat die Form einen Nutzen, wenn es darum geht den Weg zu lenken oder die Kraft zu entwickeln.

 

Die Formen, die wir heute in den Kampfkünsten üben, entstanden im langen, aufbauenden Prozess der Erfahrung derjenigen, die sich in Ihrer Entwicklung auf Ihrem Weg zur Stärkung und Entfaltung von Geist und Körper beschäftigt haben. Damit haben wir heute einen Muster des Flussbettes zur eigenen Entwicklung. 

 

Betrachten wir die beiden Prinzipien des starren Gesteins des Flussbettes und des geschmeidigen Wassers in Abhängigkeit voneinander, so stellen wir fest, dass das Wasser erst durch den Gestein seine Geschmeidigkeit erfüllt und der Gestein erst durch die Wasserbewegung gefeilt reibungsloser und stets verändert wird. 

Würde man willkürlich den Wasserfluss auf neue Gesteinsfläche umlenken, würde es natürlich eine neue Form annehmen, doch damit entsteht ein komplett neuer Weg, welcher sich je nach Form des Gesteins entwickeln würde. 

 

Würde man also das Wasser, das man aus einer Quelle schöpft in das bereits geformte Muster fließen lassen, könnte man einen sehr lebhaften Fluss entwickeln. Würde man das gleiche Wasser auf eine neue Ebene ausgießen, würde es sich in ungewisse Richtungen verteilen und es einer sehr langen Zeit benötigen um einen neuen Flussbett auszuarbeiten.

 

Die Formen haben großen Nutzen, um sich in Prinzipien zu üben, sie erst zu begreifen und darin aufzugehen. Wir können jederzeit aus der Quelle schöpfen, doch erst die Formen schaffen den Weg zur Einverleibung der Prinzipien. Durch die Erschöpfung der Formen wird die Formlosigkeit erreicht. 

 

Wenn die Quelle wiederum nicht genutzt wird, ist die Form nutzlos. Zu breite Form verdünnt den Fluss der Quelle, zu schmale Form kann den Fluss nicht halten. Der Mittelweg kann nur naturgemäß funktionieren.

 

Für einen natürlichen Weg braucht es also beides, formgebenden Gestein und formloses Wasser aus der Quelle.

 

(Autor A. Ertis)